Deutscher Gewerkschaftsbund

06.02.2023
Interregionaler Gewerkschaftsrat (IGR) Viadrina

wegweiser.rightsatwork.de

Migrantische Arbeitnehmer*innen in Deutschland und in Polen vor Ausbeutung schützen

Der Interregionale Gewerkschaftsrat (IGR) Viadrina hat ein großes Thema: Wie können wir migrantische Arbeitnehmer*innen in Deutschland und in Polen vor Ausbeutung schützen? Denn Ausbeutung gibt es nach wie vor im großen Stil, besonders in Schlachthöfen (Deutschland gilt inzwischen der Schlachthof Europas), in der Landwirtschaft bei Erntehelfern, im LKW-Transport, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie in privaten Haushalten. Betroffen sind vor allem Menschen mit Werkverträgen, entsandte Beschäftigte und Solo-Selbstständige. Sie suchen unseren Rat, weil ihre Rechte missachtet wurden.

Arbeitgeber und private Vermittlungsagenturen versuchen immer wieder, Beschäftigte unterhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Standards einzusetzen. Lohndumping, fehlender Gesundheitsschutz, mangelnde soziale Absicherung im Krankheitsfall, keine Einzahlung in die Rente – dies sind die Hauptthemen in den Beratungsstellen dies- und jenseits der Oder. Es kommen Pol*innen und inzwischen auch Ukrainer*innen, die aus Polen entsandt sind.

Die Beratungsstellen sind in der Regel spezialisiert auf Arbeits- oder Sozialrecht oder auch auf aufenthaltsrechtliche Fragen. Oft sind die Fälle aber komplizierter, und es braucht die Expertise unterschiedlicher Fachleute für einen Fall. Wer schon lange als Berater*in tätig ist, hat ein eigenes Netzwerk aufgebaut. Was es aber bis jetzt noch nicht gibt, ist eine Website, auf der die Berater*innen sich über Zuständigkeiten und fachliche Unterstützungsangebote in der Euroregion Pro-Viadrina informieren können und sich darüber perspektivisch auch vernetzen können. Dies ändert sich jetzt mit dem digitalen Angebot wegweiser.rightsatwork.de

Der wegweiser.rightsatwork.de unterstützt Berater*innen in Brandenburg und Lubuskie, sich bei Rechtsverletzungen untereinander effektiv und grenzüberschreitend zu koordinieren und auf einen großen Fundus fachlicher Informationen über Regelungen zurückzugreifen, die jeweils in Deutschland und Polen gelten.

Vorgestellt wurde der wegweiser.rightsatwork.de erstmals auf einer Fachtagung des Interregionalen Gewerkschaftsrates Viadrina Mitte Oktober 2022.

Der Interregionale Gewerkschaftsrat Viadrina besteht seit über 20 Jahren. Er setzt sich aus den Gewerkschaften OPZZ und Solidarnosc der Wojewodschaft Lubuskie und dem DGB Berlin-Brandenburg zusammen.

Mit der Konzeption und Umsetzung des wegweiser.rightsatwork.de wurden die Migrationsexpert*innen Dr. Kamila Schöll-Mazurek und Dr. Norbert Cyrus betraut. Weitere wertvolle fachliche Unterstützung leistete die Fachstelle Migration und Gute Arbeit Brandenburg. Kofinanziert wurde das Projekt durch den Klein-Projekte-Fonds (KPF) in der Euroregion PRO EUROPA VIADRINA im Rahmen des Kooperationsprogramms INTERREG V A Brandenburg – Polen 2014-2020, aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE).

Fachtagung „Arbeitsrechte in grenzüberschreitender Beschäftigung durchsetzen – Erfahrungen und Potentiale der Beratung mobiler Arbeitnehmer*innen in der Euroregion Viadrina“

Die Fachkonferenz im Oktober 2022 war hochkarätig besetzt: Von Brandenburgischer Seite mit dem Staatssekretär des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Energie, Henrik Fischer, und Oliver Kurz von der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Berlin-Brandenburg. Polen war vertreten durch Edwin Gierasimczyk von der Agentur für Arbeit der Woiwodschaft Lubuskie in Zielona Góra und Adam Pisarczyk von der Arbeitsinspektion in Zielona Góra. Besonders bedanken möchten wir und auch für den Dialog mit Sina Horn vom Hauptzollamt Frankfurt (Oder).

Hohe grenzüberschreitende Arbeitsmigration

Die Arbeitsmärkte in Lubuskie und Brandenburg verzeichnen eine hohe grenzüberschreitende Arbeitsmigration. So erlebt Brandenburg laut Oliver Kurz von der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit Berlin-Brandenburg aktuell ein starkes Beschäftigungswachstum ausländischer Beschäftigter. In Brandenburg arbeiten insgesamt 875.000 sozialversicherte Beschäftigte, davon seien 79.000 aus dem Ausland, die Hälfte davon wiederum aus Polen. Viele der Beschäftigten aus EU-Mitgliedstaaten und Drittstaaten seien mit Hilfstätigkeiten beschäftigt. Ihnen fehlten oft wichtige Informationen vor Vertragsabschluss zu den Arbeitsbedingungen, und es gäbe kaum Weiterbildungsangebote bzw. kein gutes Beratungsangebot zu möglichen Weiterbildungsmaßnahmen. Das sei nicht nur nachteilig für die Beschäftigten, sondern auch für den Wirtschaftsstandort Brandenburg, der die zusätzlichen Arbeitskräfte dringend braucht und daher attraktiv bleiben muss. Das Land Brandenburg hat also ein eigenes Interesse an der Verbesserung von Arbeitsbedingungen und Beratungsangeboten für grenzüberschreitend Beschäftigte.

Die Vorsitzende des DGB Berlin-Brandenburg Katja Karger konnte dazu ein positives Beispiel aufzeigen, wie das Risiko der Ausbeutung möglichst schon vor Arbeitsaufnahme in einem anderen Land minimiert werden kann. So hat die Arbeitsverwaltung in Moldawien in Zusammenarbeit mit Arbeit und Leben Berlin ein Abkommen unterzeichnet, dem zufolge bereits vor der Ausreise aus Moldawien Kurse zu rechtlichen Fragen und Arbeitsbedingungen angeboten werden. Auch nach dem Arbeitsantritt wird der Austausch mit dem Beschäftigen zu den Arbeitsbedingungen per WhatsApp aufrechterhalten. Somit würden die dubiosen, oft stark ausbeuterisch agierenden privatwirtschaftlichen Arbeitsvermittlungen umgangen.

Auf der polnischen Seite sieht es ähnlich aus. In der Woiwodschaft Lubuskie gibt es 420.000 Erwerbstätige. Die Arbeitslosigkeit liegt unter der statistischen Fehlertoleranz, ist also so niedrig, dass sie gar nicht mehr angegeben wird. Gleichzeitig ist derzeit ein Anstieg von ausländischen Arbeitskräften, vor allem Ukrainer*innen, zu verzeichnen, so Edwin Gierasimczyk von der Agentur für Arbeit der Woiwodschaft Lubuskie in Zielona Góra.

Ergänzt wurden seine Aussagen von Adam Pisarczyk von der Arbeitsinspektion in Zielona Góra. So habe der Krieg eine riesige Migrationsbewegung ausgelöst. Die Beratung für Ukrainer*innen, die bereits vorher eine große Gruppe der ausländischen Beschäftigten in Polen ausmachten, müssten deswegen aufgestockt und verbessert werden. Dafür brauche es einen schnellen Informationsfluss zwischen den verschiedenen Stellen. Beispielsweise bestehe bei Saisonarbeiter*innen oft völlige Unkenntnis über die polnischen Mindestlohnbestimmungen.

Zoll verfolgt Schwarzarbeit und informiert über Beratung und Opferschutz

Sina Horn vom Hauptzollamt Frankfurt (Oder), das Arbeitsstätten nach deutscher Rechtslage kontrolliert, sieht Verstöße in allen Branchen. Bei den Kontrollen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit träfen sie oft auf Beschäftigte, die kein Deutsch sprächen, zumeist nicht wüssten, dass sie unangemeldet beschäftigt wurden und somit eine Straftat begehen, und die oftmals wenig Vertrauen in Behörden haben. Auch seien in der Regel die Arbeitgeber*innen nicht vor Ort anzutreffen, was wiederum die Ermittlungen gegen diese als eigentliche Täter erschwere.

Bei vielen unangemeldeten Beschäftigten handelt es sich also um Geschädigte, Als Strafverfolgungsbehörde müssen die Zollämter aber auch gegen geschädigte Beschäftigte eine Strafverfolgung wegen unangemeldeter Beschäftigung einleiten, berichtete Horn. Inzwischen böten die Zollbeamten bei Auffälligkeiten während der Kontrollen aber immer auch die Kontaktherstellung zu Beratungs- und Opferschutzstellen an.

In Deutschland zu seinem Recht kommen

Wer in Deutschland dann zu seinem Recht kommen will, muss den Rechtsweg gehen – sowohl im Fall der Anklage wegen Schwarzarbeit als auch bei Klagen wegen Einhaltung von Verträgen und gegen Ausbeutung. Einer der Fachanwälte in Berlin ist Artur Schulz, der als niedergelassener Rechtsanwalt zahllose Fälle vertreten hat.

Geht es um das Einklagen von Rechten, sieht er, dass die Möglichkeit des Einklagens von Ansprüchen vor Arbeitsgerichten in Deutschland viele Nicht-Deutsche abschrecke. In Polen sei dies nämlich nicht der übliche Weg, dieser führe hier zur staatlichen Arbeitsinspektion, die bei Verstößen Geldbußen verhänge.

In Deutschland schrecken die bürokratischen und sprachlichen Hürden stark ab, aber auch die selbst zu tragenden Dolmetscherkosten vor Gericht. Und: selbst wenn es zur Klage kommt, scheint sich Lohnbetrug für Arbeitgeber*innen zu lohnen. Häufig habe er es mit einer Reihe von Klagen gegen ein und dasselbe Unternehmen zu tun, so der Anwalt.

Gewerkschaften als kompetente Partner

Hendrik Fischer, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Energie des Landes Brandenburg) hob hervor, Unternehmen in Brandenburg seien derzeit sehr aktiv dabei, Arbeitskräfte aus osteuropäischen Ländern anzuwerben. Leider würden einige Firmen jede „Lücke“ ausnutzen, um für Beschäftigte schlechte Verträge zu vereinbaren. Bei wiederholten Rechtsverstößen und dem wiederholten Ausnutzen bestimmter „Gesetzeslücken“ riet er den Beratungsstellen, die ja nicht nur bei den Gewerkschaften angesiedelt sind, diese Fälle an die zuständigen Fachgewerkschaften des DGB weiterzuleiten. Diese seien dann in der Lage, hieraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen, die die Gesetzeslage beträfen, und Änderungen voranzutreiben.


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